Katalogtext : "Römische Bilder, 2006, von Kirsten Kretschmann-Muche

Donna Roma
Donna Roma

Betrachtungen zu den Arbeiten

Bewegtes Wasser, flirrend, die Sonne reflektierend. Blaßblaue schmale Streifen durchziehen sanft wiegend das Bild. In einer dunstigen Atmosphäre, durch einen Schleier aus warmen Farben werden zwei durch Umrißlinien begrenzte Figuren sichtbar, das „Imaginäre Paar“. Die Frau lagert auf einem auseinanderfallenden Block, die blauen Formen ergeben die Grundkomposition der Sixtinischen Kapelle in Rom. Ihr gegenüber befindet sich der Mann, weder sitzend noch stehend. Beide Figuren stammen aus dem Deckengemälde Michelangelos. Es ist ein informelles Bild aber nicht in seiner Gesamtheit. Mehrere Ebenen vereinen sich in diesem Bild. Ovale, Kreise und Rauten wurden in verschiedenste weiße Rechtecke auf der letzten Ebene eingeschrieben und wirken wie apliziert.

 

Zwei Details, Quadrate, sind herausgenommen und scheinbar verkehrt an das Bild angesetzt. Dies ist für den Künstler eine Möglichkeit die Bildebene zu verlassen, zu irritieren und gleichzeitig die Komposition auszubalancieren. Bei der Auseinandersetzung der Synthese von Architektur und Malerei im Werk Michelangelos fällt auf und das ist für den Künstler wichtig, daß das Quadrat, andere Grundelemente und die Figuren zusammengehören. Erstmals 1993, noch vor seinem Italienaufenthalt schuf Kriesche einen Zyklus, der sich unter anderem mit Arbeiten von Botticelli, Dürer und Cranach beschäftige. Dabei übernahm er den formalen Bildaufbau, veränderte die Farben und setzte Formen, die wie Energiefelder wirken. Es sind keine Kopien, sondern die Werke sind der Ausgangspunkt, von dem aus sie auf das Wesentliche reduziert, in unsere heutige Zeit führen. Aus Vor-Bildern werden Nach-Bilder.

 

In Rom 1995, in der Villa eines Architekten entstanden neben dem „Imaginären Paar“, wo sich die geometrischen Energiefelder noch frei bewegen konnten, die erste der beiden großformatigen Papierarbeiten „Donna Roma“ und später, in Frankfurt „Signore Francoforte“. Erst abstrakt, werden sie nun zu ganz konkreten architektonischen Grundrissen. Ein Mann und eine Frau werden durch ihre Silhouette dargestellt, außer der erkennbar männlichen und weiblichen Gestalt haben sie allerdings keine organischen Merkmale. In ihren Körpern sind Grundrisse von römischen, antiken, sakralen als auch profanen Bauwerken und neuzeitliche Hochhäuser aus der Mainmetropole zu sehen. Letztere sind als Kontrast zu den römischen Bauten zu sehen, mit ihren oftmals runden und symmetrischen Anlagen. Banken, Kirchen und Bürohäusern mit ihren freien und unregelmässigen Formen lassen sich schwer einem einheitlichen Stil zuordnen, was als Zeichen unserer individuellen Gesellschaftsform schon länger Bestand hat.

Pars Pro Toto
Pars Pro Toto

Der Hintergrund der „Donna Roma“ erinnert an einen Mosaikfußboden, der eine römische Tageszeitung als Grundlage hat. Die Zeichnungen erinnern an die Kommunikation zwischen Architektur und Menschen, vom Erforschen alter, vergangener als auch neuer Bauten. Es ist ein Suchen, ein Identifizieren, ein Zuordnen-Wollen. Ist dies nicht möglich werden aus den Plänen Formgebilde. Einige der Grundrisse sind so angeordnet, daß sie anstelle von Organen oder Umrißformen stehen, so beispielsweise das Collosseum mit seiner elliptischen Arena, welches die Armbeuge der Donna Roma markiert, das Pantheon befindet sich an ihrem Unterkörper und das römische Marcellustheater bildet einen Teil des Kopfes.

 

Die Architekten, die in römischer Zeit diese Bauwerke entwarfen; leben nicht mehr, aber ihre Arbeiten stehen noch, überdauern in den Köpfen der Menschen, die sich durch sie bewegen, wenngleich einige Bauten heutzutage ihre ursprünglichen Aufgaben verloren haben. Eine Zusammenfassung, ein Resumeé des Italienaufenthaltes zeigt die 20-teilige Arbeit „Pars pro toto“, das Teil steht für das Ganze. Rom, die Ewige Stadt ist nur wegen seiner Kunstdenkmäler interessant, ist nur ein Abbild, sondern besteht aus Erinnerung, Geschichte und Symbolen. Es sind Ausschnitte, Teile eines Frieses mit spannungsreichen Energiefeldern, die zum Verweilen einladen. Der Grundriß von St. Stefano Rotondo und eines griechischen Trones verweist zusammen mit dem abstrahierten Stierkopf, der an Kultopfer oder auch an den Minotaurus erinnert, auf die unterschiedliche Ausdrucksform von Glauben.

    

Jenen berühmten Gestus des Übertragens beziehungsweise des Empfangens schöpferischer Kraft von Gott Vater zu Adam hat Kriesche in Wachs gegossen und um einen Gegenstand des heutigen Alltags erweitert. Zwischen den Händen befindet sich - fast nur im Original sichtbar - ein Kondom. Es wurde in die Wachsfläche eingearbeitet, es erinnert und wird von seiner Form, so Kriesche, an eine Reliquie. Verhinderung von Leben oder Schutz von Leben, denkbar ist beides. Nach dem Italienaufenthalt wo Malerei mit Wachs erweitert wurde, arbeitete Kriesche in Frankfurt an eigenständigen Wachstafeln, die mit malerischen Erfahrungen sicher umgesetzt werden. Die Werke haben eine ganz eigene harmonische und sehr haptische Wirkung. Groß ist die Versuchung, die Hand auszustrecken und das Sanfte, ursprünglich weiche Material zu berühren. An dieser Stelle sei an Beuys erinnert, der mit einem ähnlichen Material, dem Fett arbeitete und es als Energieträger betrachtete. Der Aggregatzustand des Fettes und des Wachses verändert sich, erst ist er flüssig, dann erstarrt, wieder weich, formbar und zum Schluß wieder starr. Zu den neueren folgenden Werken, die konsequent aus Wachs gearbeitet wurden, gehört das vierteilige Landschaftsbild „Ems“. Die Komposition zeigt den natürlich geschwungenen Flußlauf, der durch die Einwirkung des Menschen unterbrochen wurde. Im ersten der vier untereinander angeordneten Holztafeln schlängelt sich ein blaues Band in mäandernder Bewegung von linksoben nach rechtsunten, vorbei an Weiß, Gelb und Grün. Rechts im grünen Feld ist der Querschnitt eines industriell gefertigten Elemenes wie ein Siegel eingedrückt. Auf dem zweiten Bild von oben ist das Blaue Band verschwunden, stattdessen ist ein kantiges braunes, röhrenartiges Gebilde zu sehen, welches die Ems als Kanal erscheinen läßt und die umliegenden Farbfelder sind durch gerade Linien voneinander abgegrenzt. Auf dem dritten Bild von oben ist der Flußlauf und die verschiedenfarbigen Felder mit ihren natürliche Formen zu sehen, wobei in das gelbe Feld der Grundriß einer idealen mittelalterlichen Festungsstadt wie ein Fremdkörper eingeschnitten wurde.

 

Ems
Ems

Sie wurde aus eingefärbten Wachsplatten, sowie einigen Kilogramm Kerzenresten hergestellt. Zunächst wurde dazu das Material verflüssigt, dann eingefärbt und anschließend in die Gußform gegeben. Nachdem die verschiedenen Wachsformen des Bildes, wie ein Puzzle, zusammengesetzt waren, wurde das blaue, sowie der braune, kantige FLußlauf modelliert und appliziert. Auf der sechsteiligen Arbeit „Ankunft der Töne“ wirkt das Material auf den ersten Blick wie Marmor, mit festen, hartem und steinernem Charakter, gleichzeitig denkt man aber auch an eine graue glatte Wasseroberfläche, mit aufgewirbeltem Sand. Auf dem Grund wird die Silhouette, der Schatten eines Flügels sichtbar. Die Töne schweben nach oben. Sie sind leicht, bewegen sich in blau, rot, und grünen algenartigen Gebilden. Sie tragen den Klang der Musik an die Oberfläche, durch das Wasser und setzen sich dann wie der Schall in die Luft fort.

 

In einem grau-weiß marmorartigem Wachsblock erscheint der „Engel nach Descartes“. Seine Physiognomie wird durch Umrißlinien angedeutet, wobei der Kopf eine Hausform wiederspiegelt, der sich etwas größer im Bild unten rechts befindet. Aufgrund der Signale des Sehnervs, das Sehen wird dabei durch mehrere gepunktete Linien dargestellt, gibt das Gehirn, symbolisiert durch einen orangefarbenen Kreis, Signale an die Muskelspindel im Arm. Diese spannt sich an und die Hände nehmen mit den erhobenen Zeigefingern gestischen Kontakt auf. Sehen - Gedanken - Gestik, so könnte die Reihenfolge aussehen.

 

Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes lebte im 17. Jahrhundert und beschäftigte sich mit den eindeutig gesicherten Grundlagen menschlicher Erkenntnisse, mit der Gewißheit. Von ihm stammt die methodisch gewonnene Einsicht „Cogito ergo sum“ (ich denke, also bin ich). Nur was als klar und deutlich, rational unterscheidbar und unmittelbar-intuitiv erkannt werden kann, ist wahr. Der Nachweis der Existenz eines vollkommenen und wahrhaftigen Gottes im Sinne des ontologischen Gottesbeweisses soll verbürgen, daß die Wirklichkeit nicht prinzipiell auf einer Täuschung beruht. Diese methodischen Ansätze führten Descartes zu einer zweigeteilten Weltauffassung, die alles Seiende aus der Zweiheit von geistigseelischer Substanz „Res cogitas“ (Geist, Innenwelt) und materieller, ausgedehnter Substanz „Res extensa“ (Körper, Außenwelt) erklärt. „Trotz des metaphysischen Dualismus bestimmt die Suche nach der Wirklichkeit und Glauben, wo Subjekt und Objekt ineinander verschwimmen, zunehmend unsere Kommunikationswelt“, so der Künstler.

 

    Frankfurt am Main, August 1997

    Kirsten Kretschmann-Muche

    Kunsthistorikerin