Eröffnungsrede von Helga Franke "Licht" , 2009 , Bronnbach
Bildlicht. Irrlicht. Zwielicht.
11. 9. bis 1. 11. 2009
Die Mystik des Mittelalters wurde von Bernhard von Clairvaux stark beeinflusst. Er verhalf im frühen 12. Jahrhundert dem jungen Zisterzienserorden, dem Kloster Bronnbach ja mehr als 600 Jahre angehörte, rasch zur Blüte. Der bedeutende Mystiker war ein Berater der Mächtigen, ein Gegner von Peter Abaelard und er war auch am Zustandekommen des zweiten Kreuzzugs mit verantwortlich. Hören sie ein Zitat aus seinen Predigten über das Hohelied (1 bis 3,1):
Wird jemand von euch traurig? Nun, so möge Jesus in sein Herz kommen. Und sieh, wenn er seinen Namen ausspricht, dann wird es Licht /…/.
Der gewaltigen kulturellen Anstrengung, dem Licht der Welt, dem göttlichen Licht, eine visuelle Form zu geben, verdanken wir die Kunstwerke des christlichen Mittelalters. Das erste Lichtkunstwerk ist die Kathedrale. Sie ist das Medium des wahren Lichts, die Schale der lux continua, des wunderbaren Lichtglanzes, der im immerwährenden Wechsel der Tageszeiten erstrahlt. Das Hineinfluten durch die oft farbigen Glasfenster und das Durchfluten des Raumes erzeugen eine unmittelbare Vergeistigung des profanen Tageslichts in das göttliche Licht, die lux divina.
Neben dem immateriellen Licht der Kathedralen materialisiert sich das Licht in den Altartafeln, auf denen Goldgrund und Farben erstrahlen. Die Farben schicken aus sich selbst das Licht hervor. Sie entwickeln ein Eigenlicht oder ein Sendelicht, als die Quelle des Lichts göttlicher Offenbarung.
Die Malerei der frühen Neuzeit beendet um 1500 die mittelalterliche Lichtmystik. Das Bildlicht öffnet sich mit der Renaissance dem wissenschaftlichen Blick und dem weltlichen Licht. Das Bildlicht wird jetzt durch eine profane Lichtquelle erzeugt, die sich innerhalb aber auch außerhalb des Bildes befindet. Das Licht fällt in die Bildwelt ein, wirft Schatten, modelliert die Bildgegenstände, die szenisch ausgeleuchtet werden. Das Licht wird funktional, es wird zum Beleuchtungslicht, zum Zeigelicht.
Die Malerei in der Moderne beschreitet neue Wege. Der Künstler fasst Licht, Farbe, Körper und Raum nicht länger als unlösbar verschmolzenes Mit- und Ineinander des Bildganzen auf, sondern er gewinnt die Freiheit, diese als Einzelphänomene wahrzunehmen und seinen künstlerischen Zielen unterzuordnen. Das Licht kommt heute aus der Steckdose. Die Licht-Installation, die immaterielle Lichtkunst aus Kunstlicht, existiert gleichberechtigt neben der an das Pigment gebundenen Licht-Malerei. Moderne Malerei taucht in das Licht, das oft wichtiger wird als die Farbe selbst.
Mit der Gewissheit, dass das Licht trägt, durchforscht Johannes Kriesche seine Innen- und Außenwelt, sucht Tiefes, Dunkles, Abgründiges auf und konstruiert aus erbeuteten Souvenirs ein Kaleidoskop, in dem sich Themen, Stile, Medien, Techniken zu immer neuen Bildern mischen. Die tragende Rolle spielt das Licht.
Nicht das Offenbarungslicht des Mittelalters, sondern das offenbarende Licht der Aufklärung lüftet den Schleier von Gott und der Welt. Das Licht wird zum Instrument einer Praxis zur Entzauberung der Welt. Aber auch das Licht der Aufklärung wirft einen Schatten. Die neuzeitliche Aufklärung, die pragmatische Erbin der alteuropäischen Lichtmetaphysik, scheint durch die künstliche Beleuchtung, mehr noch durch Überbelichtung, einem postmodernen Zwielicht gewichen zu sein. Wenn Licht in den Arbeiten von Johannes Kriesche immer wichtiger wird, dann könnte es dieses postmoderne Zwielicht sein, ein Licht, das erhellt und zugleich (ver-)blendet. Das Rational-Alltägliche trifft auf das Magisch-Irrationale.