Katalogtext -- Im Schlaf des Lichts -- 2012 von Dr. Christopher Naumann
Liest oder hört man den Titel zum ersten Mal, ist man etwas verwundert; hier soll etwas schlafen, was naturwissenschaftlich betrachtet, gar nicht schlafen kann: das
Licht. Die griechische oder auch römische Göttermythologie zur Hilfe zu ziehen und dem Licht eine irgendwie geartete Per-sonifikation verleihen, also entweder Helios oder Sol, könnte fürs Erste
vielleicht den Katalogtitel verständlicher bzw. begreifbarer machen. Schaut man sich aber die Motive von Johannes Kriesche an, so bringt eine Personifikation nicht viel weiteren Erkenntnisgewinn.
Betrachtet man aber das Licht in Hinsicht auf seine Quellen, seine Erzeugung, so kann eine Einteilung erfolgen in natürliches Licht, also Sonnenlicht, und künstliches Licht, also energetisch
erzeugtes Licht. In dieser Einteilung liegt der Ansatzpunkt der Arbeiten von Johannes Kriesche. Machen wir uns bewusst, wann welches Licht zum Einsatz kommt folgen wir der Spur des
Künstlers.
Im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte ist es uns Menschen gelungen das natürliche Licht und den durch ihn vorgeschriebenen Tagesrhythmus durch technische Erfindungen immer weiter zu verändern.
Die Verwendung von künstlichem Licht zur Erhellung/Vertreibung der Nacht, und die Nacht ohne künstliches Licht ist so der Schlaf des Lichts, führte dazu, dass heute nicht mehr der Sonnenuntergang
die Arbeits- und Lebenszeit innerhalb eines Tageszyklus beendet, sondern Arbeits- und Lebenszeit vom Menschen selbst gesetzt werden. In einer Welt der Superlative, des immer Besseren und des
immer Schnelleren, will Johannes Kriesche mit seinen Kunstwerken bewusst einen Gegenpol setzen. Die physikalische Geschwindigkeit des Lichts wird in seinen Arbeiten, wenn auch nur zu einem ganz
kleinen Bruchteil abgebremst. Das Licht verfängt sich in den Kunstwerken, kommt scheinbar zur Ruhe und lässt dabei die einzelnen Motive aufleben.
Nicht anders ergeht es uns Betrachtern. Von der medialen Bilderflut abgestumpft, sind wir es gewohnt eine rasche Selektion des für uns Interessanten zu vollziehen und das Uninteressante
auszuschließen, auszublenden. Meist genügt ein schneller Blick aus dem Augenwinkeln heraus schon ist unsere Entscheidung für Pro oder Contra getroffen. Auch die Werke von Johannes Kriesche sind
auf diesen einzigen Augenblick angelegt. Doch bei ihnen geschieht etwas anderes mit unseren auf rasche Selektion ausgerichteten Sehgewohnheiten. Das Diffuse, das bewusst Unscharfe an den Arbeiten
zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Neugierig geworden widmen wir uns den Arbeiten, verlangsamen unser Tempo, unseren Schritt und schauen genauer hin. Wir versuchen zu ergründen was in den
Bildern dargestellt wird und auch warum diese so diffus sind. Was diese Arbeiten so besonders macht ist nicht nur die Auswahl der Bildmotive, sondern vielmehr auch die Materialität. Eine dicke
Schicht aus gefärbtem Paraffin sorgt auf der einen Seite für den gewissen Grad an Unschärfe, auf der anderen Seite verleitet sie den Betrachter zum Anfassen.
Die Gruppe der Lichttempel bildet Tankstellen bei Nacht ab. Johannes Kriesche geht es in dieser Werkgruppe sowohl um die Schnelligkeit, das Tempo in unserer heutigen Gesellschaft, als auch um die Anmahnung des überschwänglichen Konsums. Die Abhängigkeit unserer Wirtschaft vom Rohstoff Öl und dem darauf basierenden Wachstum und Wohlstand wird in den Arbeiten durch die Abbildung von Tankstellen symbolisiert. Gleich einem neuen (Kult-) Tempel werden die, nachts hell erleuchteten, Tankstellen von Johannes Kriesche angesehen bzw. interpretiert. Die farbige Paraffinschicht auf dem Bildmotiv nimmt dabei Bezug auf unser Konsumverhalten, denn auch sie ist Produkt dessen und wird in den Arbeiten von Johannes Kriesche von einem technischen zu einem bildnerischen Kunstprodukt umgewandelt.
Die Lustengel spitzen die Thematik des immerwährenden Konsums noch zu. Abgebildet sind hier jugendliche Mädchen, die in der Kombination ihres Alters mit dem ausgewöhnlichen Kleidungsstil, als
Symbol des hedonistischen Lebensstils unserer Zeit gedeutet werden können.
Schnelligkeit und der Zwang des immerwährenden Wandels führen in unserer Zeit aber auch dazu, dass der Mensch sich trotz aller Arbeit immer wieder persönliche Freiräume und Ruhezeiten sucht.
Meist sind es nur kurze Sequenzen im Park oder anderswo in diesen dem Verlangen des Körpers nach Ruhe und Erholung nachgegeben und zur Beruhigung des schlechten Gewissens aber der Laptop noch auf
dem Schoß gehalten wird. Eine solche Szene inspirierte Johannes Kriesche zu seiner neusten Arbeit.
Cutting Dreams zeigt u.a. eine überlebensgroße liegende Figur mit einem Laptop auf dem Rücken. Sie kann als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass unsere Gesellschaft im ständigen Sog der Erreichbarkeit und der Mitteilungen angekommen ist. Entspannt wird nicht mehr nur mit Musik, einem Buch, oder einem Skizzenblock - nein, für viele heißt dieser Moment auch wieder Berieselung aus der digitalen Welt. Anders als bei den vorangegangenen Werkgruppen kommt hier kein Paraffin zum Einsatz und dennoch bleibt das Licht weiter die Konstante im Schaffen von Johannes Kriesche.
Während Kriesche das Licht, sei es natürlich oder künstlich, in seinen anderen Arbeiten einfängt, er also auf eine Lichtquellen angewiesen ist, erschafft er hier in der Verwendung von
Lichtschläuchen seine eigenen Lichtquellen, die zugleich das Kunstwerk sind.
Der Schlaf des Lichts findet in den Nachtstunden Platz. Kriesches Kunst befragt, was wird, wenn wir das Licht nicht auch schlafen lassen. Und tatsächlich knüpft er mit dieser Fragestellung an
eine traditionelle, künstlerische, humanistische Position an: Den Menschen um den Schlaf des Lichtes zu berauben, ist eines der Monster, die der Schlaf der Vernunft geboren hat.
Christopher Naumann, Juli 2012